Der Rivellino von Locarno

Locarno

Der «Rivellino» des Visconti-Schlosses von Locarno (1507)

 

Das "Rivellino" des Schlosses von Locarno, einer der wenigen Überreste militärischen Charakters der von den Eidgenossen 1532 größtenteils zerstörten Festung, ist eine nach Norden ausgerichtete Befestigung. Zwei Fassaden stehen in einem 90° Winkel zueinender, während die Ostflanke in einem 45° Winkel zur entsprechenden Fassade steht. Es sind zwei separate Sektoren auszumachen: einer von der Höhe der Fassaden und ein halb so hoher. Die ca. 10 Meter hohen Mauern sind zu 9/10 geneigt und nur im obersten Teil vertikal. Die beiden Teile sind durch ein Gesims unterteilt. Die Kasematte verfügt über vier Schiessscharten, zwei in der Nord- und zwei in der Ostfassade, von denen jedoch nur drei von außen sichtbar sind. Die vierte ist vom Nordtunnel aus sichtbar. Von außen bietet sich der Anblick eines unregelmäßigen viereckigen Blockes mit drei dem Feind zugewandten Fassaden, während die vierte an das mittelalterliche Schloss grenzt. Als Baumaterial für die Mauern wurden unbehauene Steine - mit Sicherheit aus dem Fluss Maggia -  verwendet, sorgfältig bearbeitete hingegen für Gesims und  ausspringenden Winkel. Die Verteidigung wurde durch eine gedeckte Grabenböschung und eine Eskarpengalerie für Musketenschützen oder Feldschlangen garantiert, von dem noch eine Schiessscharte übrig geblieben ist.

Die äußere Form spiegelt sich auch in der Aufteilung der inneren Räume wieder. Die vier Kasematten und die Verbindungstunnel der Artillerie sind durch die in ein Portal verwandelte Kanonenscharte Nord zugänglich. Es scheint offensichtlich, dass der heute verbaute nördliche Zweig des Tunnels direkt ins Schloss führte. Ein antiker Turm befindet sich in der Mitte der Festung. Die rundliche Wölbung der Tunneldecken ist sicher original, da sich bei jeder Kanonenscharte ein Rauchabzug befindet, der senkrecht in der Terrasse über dem Wall mündet. Eine fünfte sehr enge, wie eine Türe umrahmte Öffnung findet sich im oberen Teil des Tunnelträgers.


Eine lange und umfassende Archivrecherche erlaubte es, erste Informationen bezüglich Entstehungs-Datum, Auftraggeber und Zuschreibung der Festung zusammenzutragen. Sie wurde während der französischen Besatzung Locarnos (1499 - 1513) realisiert. Locarno gehörte damals zum ebenfalls französisch besetzten Herzogtum Mailand. Das genaue Erbauungsjahr ist 1507. Auftraggeber scheint der französische Statthalter „Grandmaître“ Charles II d¹Amboise Seigneur de Chaumont, Baron de Charenton gewesen zu sein, im Namen von Louis XII de Valois-Orléans, dem König von Frankreich. Projektingenieur könnte ein von den damals in Mailand unbekannten florentinischen Renaissançe-Archetypen beeinflusster Meister sein, der mit den von Francesco di Giorgio Martini und den Sangallo verwendeten Mustern bestens vertraut war.

 Eine in fünf Jahren zusammengetragene Menge an Indizien deutet darauf hin, dass das „Rivellino“ von Leonardo da Vinci projektiert wurde. Diese Zuordnung wird von namhaften Experten gestützt, vor allem von Carlo Pedretti, einem der weltweit renommiertesten Kenner von Da Vincis Werk. Allerdings sind noch ausgedehnte archäologische und strukturelle Abklärungen erforderlich, um den Erhaltungszustand und die Morphogeometrie des Bauwerkes Epoche für Epoche und Abschnitt um Abschnitt zu erfassen.

Marino Viganò, Historiker und Forscher